Magdalena Abakanowicz Abakane 

01.12.2019

Abakane sind textile Skulpturen, die wie überdimensionierte menschliche Organe im Raum erscheinen.


Schon die Tapisserie als traditionelle Form der Textilkunst, produziert aus Wolle, Seide, nicht selten mit Silber- und Goldfäden angereichert, spielt mit der Dreidimensionalität. Sie bewahrt zwar zunächst ihre zweidimensionale flache Gestalt, sie ist aber beweglich, denn nicht nur ist sie aufgrund ihres flexiblen Materials einfach zu handhaben und damit sehr mobil, ihre Bewegung generiert sich auch aus der Luftbewegung, die die Tapisserie an der Wand leicht schwingen lässt und ihr damit eine neue Betrachtungsdimension verleiht.

In Abakanowiczs Händen wird das Material und seine Relation zum Körper und der menschlichen Existenz zum Thema der künstlerischen Arbeit. 

Abakanowicz gehört zu den tragenden Persönlichkeiten, die das Textil zum Thema ihrer Kunst gemacht haben. Sie begann ihre Arbeit mit Textilgewebe indem sie Wandtapisserien in traditioneller Weise, handgeknüpft aus Naturfasern produzierte. Nach 1966 begann sie das Material, zu dem nun auch solche Naturstoffe wie Hanf, Rosshaar und Sisalstricke gehörten, neu zu definieren. 

Schon während der ersten Biennale der Tapisserie in Lausanne in 1962 zeigte Abakanowicz handgeknüpfte Wandteppiche, deren Oberfläche nicht mehr die relative Glattheit der traditionellen Wandtapisserien aufwies, sondern mit Techniken des Knüpfens hervorgebrachte reliefierte Strukturen aufzeigte. "Komposition weißer Formen" zeigte erstmals eine reliefierte Oberfläche, die sich aus den geknüpften Fäden gestalterisch hat umsetzen lassen. Das Werk war aus Baumwolle von der Künstlerin selbst in den Maßen 200x600 cm gewebt.

Der neue Umgang mit Tapisserie stellt zugleich eine neue Annäherung and den Kunstgegenstand selbst dar. Während seit dem Mittelalter traditionell das Weben von professionellen Webern übernommen worden war, die das Werk nach einem von einem Künstler eingereichten Entwurf auf Papier oder Leinen in Textil fertigten, haben nun die Künstler selbst die handwerkliche Arbeit übernommen und kehrten damit zu den anthropologischen Ursprüngen der Weberei zurück, so wie sie Aby Warburg, der Hamburger Kunstwissenschaftler, bei den Navajo in den USA auf seiner Reise 1895-1896 beobachtete. Der gesamte Gestaltungsprozess - der die Textilkunst nun nicht allein als dekorative oder angewandte Kunst hat betrachten lassen, geschah in den Händen und Kraft der Intellektualität des Künstlers. Sodann hat der Künstler selbst die volle Kontrolle über das Werk. Das Handwerk und die Invention des Werkes oblag dem Künstler.

Abakanowicz entwickelte den Gedanken weiter und die Oberfläche wurde zunehmend reliefierter und skulpturaler, sichtbar vor allem in den sogenannten Abakanen.

Der Begriff "Abakan" wurde allerdings von Hanna Ptaszkowska 1964 kreiert, während einer Ausstellung von Abakanowicz in der Galerie Zacheta in Warschau - sie bezeichneten gewebte, reliefierte, frei-schwebende, dreidimensionale Arbeiten. Die Künstlerin selbst verwendete den Begriff zum ersten Mal während einer Ausstellung in Zürich 1968 und bezeichnete damit ihre Arbeiten, die nach 1965 entstanden.

Brauner Abakan, 1969

Der Hintergrund, dass gerade in Polen die Textilkunst so wichtig und von besonders talentierten Künstlern fortentwickelt worden ist, lag an den staatlichen Strukturen der Kunsthochschulen, die die bildenden Künste wegen unerwünschter Propaganda überwachten. So waren die Klassen der Malerei und der Bildhauerei stärker überwacht als jene der angewandten Künste. Um sich der Kontrolle zu entziehen und ihre Ideen freier entwickeln und realisieren zu können, sammelten sich die Künstler stärker in den Klassen beispielsweise der Textilarbeiten.

Die von den polnischen Künstlern angestossene Entwicklung hatte weitreichende Folgen für den künstlerischen Umgang mit dem textilen Material. Das gewebte Textil wird skulpturalisiert. Die Skulptur wurde aus Faser und dem Gewebe entwickelt. In der Regel nehmen Abakane eine organische, biomorphe Form an, sie sind auch nicht selten Formen von Körperabdruck.

Damit wird das Textil selbst körperlich und zielt auf unsere visuelle, taktile und damit verbundene emotionale Erfahrung. Nicht zu vergessen sind auch intellektuelle Wahr- und Erkenntnistheoretische Aspekte, die bei der Erforschung nicht außer Acht gelassen werden sollten. 

In diesem Material - das sich wie zweite Haut auf den Körper legt, fokussierte die Künstlerin ihren Blick auf den Körper, so dass das Material zum Körper oder seinem Abdruck wurde, in ähnlicher Weise wie sich auf der Kleidung die Körperbewegungen, oder die Körperform durch mechanische Körperbewegung abzeichnen. Abakanowicz übersetzte diese Aspekte in Skulpturen wie "Sitzende Figuren", welche allein Torsi mit Beinen darstellen. (1974-1979) Hier erscheinen die Körper als Körperabdruck in einer Serie sitzender Figuren. 

Sitzende Figuren, 1974-1979

Betont wird dieser Aspekt dadurch, dass mittels des textilen Gewebes und der Faser die tatsächlichen organischen Fasern wie Faszien oder Adern, veranschaulicht werden. Und durch den Einsatz des Leims der Bezug zur Erde hergestellt wird. Gerade die Weber betonen stets, dass die Weberei, die Leinen, Wolle oder andere natürlichen Stoffe verwendet, die im Prozess des Wirkens von den Händen des Webers unmittelbar berührt werden, einen direkten Bezug zur Natur herstellt, und damit die Reflexion über die Natürlichkeit und die Existenz als Ziel haben. Abakanowicz verfolgt diese Ideen auch in späteren Arbeiten, in den "Backs" (1976-80; Sackleinen und Harz, jeweils 660 x 580 x 680mm, Tate, London) oder in "Androgyne III" von 1985 (Sackleinen, Harz, Holz, Nägel und Schnur, 121,9 x 161,3 x 55,9 cm, Metropolitan Museum of Art). In der letzteren Arbeit hat die Künstlerin das Torso, das abermals wie ein Körperabdruck gestaltet worden ist, ohne Beine auf einem Holzgestell sitzend platziert. Es erscheint verletzt und verstümmelt.

Aufgrund der unmittelbaren Nähe zum Körper ist das Textil ein höchst taktiles und emotionales Material. Die Künstlerin spielt mit diesen Erfahrungen und lässt den Betrachter nun zunächst über die präsentierten Körper und dann über sich und seine Existenz reflektieren.

Backs, 1976-1980, Tate, London

Androgyne III, 1985, The Metropolitan Museum of Art, New York City

Abakan Braun IV, 1969 präsentiert im Zentralen Textilmuseum in Lodz (2018), - Leinen, Sisal (photo Beatrijs Sterk)